Laufsteg für Prominente in schillernder Abendrobe, ersehntes
Ziel von eingefleischten Wagnerianern: Auch nach fast 130 Jahren
haben die Wagner-Festspiele auf dem Grünen Hügel in Bayreuth
nichts von ihrer Faszination eingebüßt.
Bayreuth wird wie die Entdeckung Amerikas sein", prophezeite
Richard Wagner seiner Ehefrau Cosima. Viel belächelt wurde von
Zeitgenossen die "eigentümliche Standortwahl" für sein
abenteuerliches Festspielprojekt.
Seit 1876 finden die weltberühmten Richard-Wagner-Festspiele in
Bayreuth statt. In jeder Saison werden mit wechselndem Spielplan
30 Aufführungen von Werken Richard Wagners gegeben. Doch nicht
nur Wagners Opern machen das Flair und die Bedeutung des
Bayreuther Festivals aus - der "Grüne Hügel" ist ein beliebter
Treffpunkt der Prominenz aus Politik, Wirtschaft und
Showbusiness. Für das Zeremoniell der Auffahrt zum "Grünen
Hügel", den Wagner als "Freistaat der Künstler" ausruft, gibt es
sogar eine Art Regieanweisung: "Mit den Augen dem Haus zugewandt
soll man zu meinem Heiligtum hinauffahren." Diesen Rat befolgte
das Publikum von Anfang an, nur König Ludwig II. näherte sich
auf Schleichwegen von hinten dem Festspielhaus. Unter den ersten
Festspielgästen waren neben Friedrich Nietzsche auch Wagners
Berufskollegen Franz Liszt und Anton Bruckner. Das
Provinzstädtchen Bayreuth mit seinen 14.000 Einwohnern ist 1876
freilich dem Ansturm der allerersten europäischen Gesellschaft
nicht gewachsen. Wie turbulent es rund um den Hügel zuging,
beschreibt Peter Tschaikowsky: "Jedes Stück Brot, jedes Seidel
Bier musste erkämpft werden mit unglaublichen Anstrengungen,
auch List und eiserner Geduld. Man hörte mehr von Beefsteaks und
Bratkartoffeln als von Wagners Leitmotiven."
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Immer dann, wenn
die Bayreuther Festspiele mit einer Neuinszenierung von Wagners
"Fliegendem Holländer" eröffnet werden, gilt alle Konzentration
der Musik, dem Text, dem Bühnengeschehen - beziehungsweise den
Interpretationen vonseiten des Dirigenten, der Sänger, des
Regisseurs. Warum lenkt davon nichts ab? Weil es keine Pausen
gibt, kein Flanieren im Park zwischen den Akten. Man verbringt
nicht etwa den Nachmittag und Abend auf dem "Grünen Hügel",
sondern sitzt gerade mal zweieinhalb Stunden still auf seinem
Platz im Festspielhaus, applaudiert und geht nach Hause.
Leben und Werk
von Richard Wagner (1813-1883) waren von jeher umstritten. Bis
heute gibt es fanatische Verehrer und heftige Kritiker. Die
Bayreuther Richard-Wagner-Festspiele gelten als die «Mutter
aller Festspiele der Neuzeit». Der Komponist formulierte seine
Festspielidee nach der Revolution 1848 als Protest gegen den
zeitgenössischen Opernbetrieb, dem er Effekthascherei vorwarf.
Richard Wagner war der Ansicht dass Wandlungen im Bereich der
Kunst nur auf der Grundlage gesellschaftlicher Veränderungen
möglich seien.
Seit 1876 werden
am «Grünen Hügel» ausschließlich Wagners Werke «Der fliegende
Holländer», «Tannhäuser», «Lohengrin», «Tristan und Isolde»,
«Die Meistersinger von Nürnberg», «Parsifal» sowie die
Tetralogie «Der Ring des Nibelungen» mit «Rheingold», «Walküre»,
«Siegfried» und «Götterdämmerung» aufgeführt. Frühwerke Wagners,
etwa «Rienzi», werden ebenso wenig gespielt wie Werke anderer
Komponisten. Eine Ausnahme bildet jedoch Beethovens 9.
Symphonie.
Ein Wallfahrtsort
der deutschen Seele wurde Bayreuth freilich erst nach Wagners
Tod am 13. Februar 1883. Unter Witwe Cosimas strengem Regiment
wurden die ältesten Festspiele der Welt zur musealen Weihestätte
und zu einem kolossalen Publikumserfolg, der bis heute anhält.
Bayreuth könnte die zehnfache Kartenzahl absetzen.
Es gilt als Ehre,
in Bayreuth singen zu dürfen. So treten bekannte Stars in
Bayreuth für Gagen weit unter ihren üblichen Sätzen auf. Noch
immer gilt am «Grünen Hügel» Richard Wagners 1872 formulierter
Grundsatz: «Wer nicht aus Ehre und Enthusiasmus zu mir kommt,
den lasse ich, wo er ist.»
Festival-Knigge:
Tipps für Festivalneulinge
Dafür lässt ein
Opernfan alles stehen und liegen: eine Eintrittskarte für die
Bayreuther Festspiele. Sieben Jahre dauert es im Durchschnitt -
Politiker und Prominente ausgenommen - bis man an eine der
begehrten Karten kommt. Wer sich zum ersten Mal auf den Grünen
Hügel in Bayreuth begibt, um dort einer Wagneraufführung
beizuwohnen, dem seien hier ein paar Hinweise ans Herz gelegt.
Bayreuth ist anders als andere Festspielstätten - und so muss
der Neuling gewappnet sein.
In Bayreuth
werden die Besucher nicht per Pausenläuten wieder ins
Festspielhaus gerufen, sondern eine Bläsergruppe intoniert auf
dem Balkon des Königsbaus das Leitmotiv aus der jeweiligen Oper
- dreimal hintereinander in kurzen Abständen.
Wundern Sie sich
nicht, wenn Sie in jedem Akt einen neuen Nachbarn auf dem harten
Holzgestühl neben sich haben - manche Familien wechseln in den
Akten durch: Den ersten Akt darf die Mutter sehen, den zweiten
die Tochter und den dritten der Vater.
Bratwürste statt
Kanapees
Wer in
Kunstpausen sonst Kanapees gewohnt ist, sollte in Bayreuth nicht
auf eine Kostprobe der berühmten Bratwürste verzichten. Kanapees
gibt es natürlich auch, aber warum sind wohl die Schlangen vor
dem Würstlstand so lang?
Wenn Sie so
manchen Smokingträger in der Pause eiligst den Hügel weiter
hinauf hasten sehen, kann das damit zusammenhängen, dass
besagter Besucher Erfrischung sucht in der öffentlich
zugänglichen Kneippschen Wassertretanlage, die ein Stück des
Weges oberhalb des Festspielhauses linker Hand liegt.
Die
Generalproben, die mit Publikum und in Bühnenkostümen
stattfinden, unterscheiden sich nur in einem von den regulären
Aufführungen: Das Publikum ist sehr viel legerer gewandet -
kurze Hosen sind durchaus weit verbreitet.
Dicke Luft und harte
Stühle
Das Klima im
Festspielhaus: Es ist eng dort, die Sitze hart, die Luft
stickig. Mittlerweile wird zwar in den Pausen per Klimaanlage
gekühlt, aber trotzdem sollte man eine gewisse
Leidensbereitschaft für die Kunst mitbringen.
Kein Applaus
zwischen den Parsifal-Akten
Zwischen den
Akten des Parsifal wird nicht geklatscht - das hat sich so
eingebürgert. Richard Wagner selbst wurde einst von pedantischen
Festspielbesuchern ausgezischt, weil er es wagte, in dem
Weihespiel zwischen zwei Akten zu applaudieren.
Festivalgeschichte: Wie es dazu kam
Am
zweiundzwanzigsten Mai des Jahres 1872 wurde der Grundstein des
Theaters auf der Anhöhe von Bayreuth gelegt.
Das kühne Projekt stand mehrere Male, auf allen seinen Stufen,
am Rande des Scheiterns.
Als die zuerst ausersehenen Bauplätze - der eine am Rande des
Hofgartens, der andere in St.Georgen, einem damaligen Vorort und
jetzigen Stadtteil - aufgegeben werden mussten - der erste wegen
der Bodenverhältnisse, der zweite, weil ihn der Eigentümer nicht
verkaufen wollte -, war Wagner nahe daran, das ganze Projekt
aufzugeben. Der Platz, auf dem das Festspielhaus in der Tat
steht, war erst die dritte Wahl, sicherlich aber auch die beste.
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Doch er hat immer
wieder finanzielle Sorgen. Wagner beschließt, 1.000 so genannte
Patronatsscheine für je 300 Taler in Umlauf zu bringen. Ein
Angebot für seine Anhänger: Die Käufer dieser Scheine erwerben
ein Anrecht auf Festspielkarten. Die Patronatsidee trägt nur
magere Früchte. Die ständige Geldnot zwingt Wagner, beim Kaiser
um 100.000 Taler zu bitten. Doch sein Vorschlag verhallt
ungehört. Erst König Ludwig ermöglichte durch ein Darlehen die
Fertigstellung des Baus. »Nein! Nein und wieder nein! So solle
es nicht enden; es muss da geholfen werden.! Es darf unser Plan
nicht scheitern.!« (Ludwig an Wagner)
Das Festspielhaus
unterschied sich in drei wesentlichen Punkten von anderen großen
Opernhäusern seiner Zeit: durch die amphitheatralische Form,
durch das verdeckte Orchester, den »mystischen Abgrund«, und
durch die Verdunklung des Zuschauerraumes.
Die Mitwirkenden kamen aus allen Teilen Deutschlands und des
deutschsprachigen Auslands. Sie erhielten zwar Geld, aber nicht
als Honorar, sondern als Aufwandsentschädigung. So etwas pflegt
sich in der Höhe der gezahlten Beträge bemerkbar zu machen (auch
heute wird in Bayreuth weniger bezahlt als an anderen Bühnen).
Das Motiv, an den Festspielen mitzuwirken, sollte die Ehre sein.
Bayreuth kann sich das leisten. Die Proben zu den ersten
Festspielen dauerten zwei Jahre. Zwei Monate lang dauerten die
Orchester und Szeneproben.
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Der Bau
stand, der Text war fertig, die Musik notiert. "Ich sage nichts
weiter!!", hatte der Komponist unter seine "Götterdämmerung"
geschrieben. Nun ließ er bitten, die Welt konnte kommen. Und es
kamen, im Hochsommer 1876, der deutsche Kaiser Wilhelm I. und
Kaiser Dom Pedro II. von Brasilien. Ihre Aufwartung machten auch
der König von Bayern und der König von Württemberg. Preußische
Prinzessinnen ließen vorfahren, Herzöge, Fürsten, Grafen
paradierten. Über Nacht war Bayreuth geadelt. Aber es kamen auch
die Tonsetzer Anton Bruckner, Camille Saint-Saëns und Peter
Tschaikowski, die Maler Hans Makart, Franz von Lenbach und Adolf
Menzel. Es kamen Dichter und Denker, Connaisseure und Voyeure,
Exoten aus weiter Ferne und Nachbarn aus Franken. Mit einem
Schlag wurde aus einer städtischen Anhöhe der Grüne Hügel - und
dieser zum Mount Everest der Wagner-Welt.
Es war ein Ereignis des
Geisteslebens sowohl als auch des boulevardjournalistischen
Interesses.
Er habe nie
geglaubt, huldigte Seine Majestät aus Berlin dem Musiker aus
Bayreuth, "dass Sie es zustande bringen würden". Und tatsächlich
schien "sehr wahrhaftig, dass so noch nie ein Künstler geehrt
worden sei", triumphierte Wagner: "Denn hatte man erlebt, dass
ein solcher zu Kaiser und Fürsten berufen war, so konnte Niemand
sich erinnern, dass je Kaiser und Fürsten zu ihm gekommen
seien."
Die zweiten
Bayreuther Festspiele - die letzten zu Wagners Lebzeiten -
fanden 1882 unter weitaus besseren finanziellen und
künstlerischen Bedingungen statt. Parsifal wurde uraufgeführt.
Wagner war mit der Qualität der Aufführung im Ganzen zufrieden.
Für Verstimmung bei Wagner und für Unklarheit bei der Nachwelt
sorgte die Frage des Applauses. Offenbar wollte Wagner zweierlei
nicht: Szenenapplaus und das Hervorrufen der Sänger nach den
Aktschlüssen. Den Beifall nach den Aktschlüssen hingegen wollte
er nicht verhindern. Durch Missverstehen seiner Absicht entstand
die Tradition, nach der nur nach dem Zweiten und Dritten, nicht
aber nach dem Ersten Akt applaudiert wird.
Am 29.August 1882, während des letzten Aktes der letzten
Aufführung, begab sich Wagner in den Orchesterraum und
dirigierte, vom Publikum unbemerkt, sein Weltabschiedswerk
selbst zu Ende.
Die dritten
Festspiele fanden ein Jahr nach den zweiten statt, in Wagners
Todesjahr 1883. Als Cosima Wagner merkte, dass die Aufführungen
gegen die Intentionen ihres verstorbenen Mannes verstießen,
übernahm sie selber die Festsspielleitung, erst hinter den
Kulissen, dann offiziell (1885). Sie bewahrte die Festspiele
einerseits vor der Aufführung der Werke anderer Komponisten und
brachte andererseits bisher in Bayreuth unaufgeführte Werke
Wagners auf den Spielplan. Cosima Wagners Bemühungen um das Werk
des Meisters und ihr treues, aber nicht sklavisches Festhalten
an seinen Absichten haben die Festspiele vor dem Verschwinden
bewahrt.
Cosima Wagner kämpfte vergeblich gegen die Aufführung des
Parsifal an anderen, ungeweihten Bühnen. Die Schutzfrist lief
1913, 30 Jahre nach dem Tode des Urhebers, ab, damit durften
auch andere Theater das Werk aufführen, und sie taten es. In den
U.S.A., wo die Schutzfrist nicht galt, war das Werk bereits
gezeigt worden (New York, 1903).
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1907 übernahm
Siegfried Wagner, der Sohn von Cosima und Richard Wagner, von
seiner Mutter die Leitung der Festspiele, bei welchen er schon
seit 1896 als Dirigent mitwirkte. Der Erste Weltkrieg und die
Inflation unterbrachen dann die Festspiele für ein Jahrzehnt
(von 1915 bis einschließlich 1923 wurde in Bayreuth nicht
gespielt).
Siegfried Wagner starb 1930, wenige Monate nach seiner Mutter.
Das Ende seiner Amtszeit wurde durch das Ende der Weimarer
Republik bestimmt, durch die Vereinnahmung Wagners zu
politischen Zwecken (Bayreuther Kreis).
Seine Witwe Winifried Wagner wurde 1930 Festspielleiterin. Im
Gegensatz zu ihren Vorgängern legte sie die künstlerischen
Aufgaben in die Hände anderer: Wilhelm Furtwängler (Musikalische
Leitung, doch nur für ein Jahr), Heinz Tietjen (Künstlerische
Leitung), Emil Preetorius (Bühnenbild). Adolf Hitler war bei ihr
ein oft und gern gesehener Gast. Er plante einen riesigen
Gebäudekomplex auf dem Festspielhügel, doch der Krieg
verhinderte die Ausführung. Winifried Wagner amtierte bis 1944.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde im Festspielhaus sechs Jahre
lang nichts von Wagner gespielt, dafür konnte man dort Revuen
und Werke wie d'Alberts Tiefland bestaunen.
1951 begann die Epoche, die als »Neubayreuth« bezeichnet wird.
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Informationen:
Bayreuther Festspiele GmbH
Festspielhügel 1-2
95445 Bayreuth
Telefon: 0921 / 78 78 0
www.bayreuther-festspiele.de
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