Koffer sind mehr als nur Reisemittel. Sie sind auch Objekte, die
gesellschaftliche Veränderungen und Fortschritte in der
Verkehrstechnik anzeigen. Koffer können Geschichten von
luxuriösen Grandhotels, billigen Absteigen, aber auch von Flucht
und Exil erzählen. Koffer sind Mittler zwischen den Welten und
Zeiten. Etymologisch lässt sich der Begriff "Koffer" aus dem
altfranzösischen Wort "coffre" ableiten. Der heute gültige
Begriff "Reisekoffer" setzte sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts
in der Hochsprache durch.
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Die
gesellschaftlichen Veränderungen des 19. Jahrhunderts führten in
den bürgerlichen Kreisen zu steigender Mobilität. Auf den Spuren
Goethes reiste man in der Postkutsche nach Italien, kurte in der
Schweiz, besuchte Frankreich und England. "Per Posta" mit Thurn
und Taxis zu fahren war zeitaufwendig, unbequem und unsicher.
Das mitgeführte Gepäck wurde auf dem Dach und der Hinterachse
der Postkutsche befestigt. Es handelte sich um Truhen mit
gewölbtem Deckel, der aus Weidengeflecht hergestellt und mit
teergetränktem Leinen überzogen war. Kutschenkoffer waren leicht
und wetterfest. Der Sicherheit diente ein Verschlusssystem,
bestehend aus Lederriemen und Schloss. Postkutschen steuerten
Relaisstationen und Gasthäuser an, um dort die Pferde, anfangs
sogar die Kutschwagen zu wechseln. Da jeder Wechsel mit dem
zeitaufwendigen Umladen des Gepäckes einherging, kam es später
zum Einsatz von so genannten "Beichaisen", die ausschließlich
für den Transport von Gepäckstücken eingesetzt wurden. Zwar
gewann die Personenbeförderung dadurch an Tempo, gleichzeitig
wurde das Gepäck der direkten Überwachung entzogen. Diebstähle
und Postkutschenüberfälle waren alltäglich.
Der Siegeszug der
Eisenbahn machte die alte Postkutsche museumsreif. Das
Schienennetz expandierte in rasantem Tempo. Die Fahrt in
geräumigen Zugabteilen öffnete den geruhsamen Blick auf Land und
Leute. Stabile große Koffertruhen mit Holzkorpus und flachem
Deckel kamen in Mode, die ein Aufeinanderstapeln im Gepäckwaggon
erleichtern. Das Bahnabteil erforderte Koffer, die im
Gepäcksnetz oder unter den Sitzen verstaut werden konnten. Der
englische Suit-case stand dabei Pate: Aus Leder gearbeitet,
bestand er aus zwei flachen aufeinander liegenden Schalen, die
durch Schnallen, Lederriemen und Schlösser verschlossen wurden.
Durch die frontale Griffbefestigung konnte er in der Hand
getragen werden - woraus sich der Name "Handkoffer" ableitete.
Mit dem Handkoffer gewannen Reisende mehr Unabhängigkeit und
Bewegungsfreiheit.
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Reisen war in der
Belle Epoque en vogue. Auf Passagierschiffen und im
Pullmann-Wagen waren die alte Aristokratie, das saturierte
Bürgertum und der aufstrebende Mittelstand gleichermaßen
unterwegs - meist in Begleitung extravaganter Schrankkoffer. Der
erste Schrankkoffer verließ 1875 die Werkstatt des legendären
Luis Vuitton. 50 Jahre später erlangte der Gepäckhersteller
seinen Kultstatus durch internationale Bühnen- und Filmstars wie
Ginger Rogers, Cary Grant, Douglas Fairbanks und Marlene
Dietrich. Die Außenwände der Schrankkoffer waren mit Leder,
veredeltem Segeltuch oder Vulkanfiber bespannt und mit
Messingbeschlägen verziert. Die Innenwände mit hochwertigem
Seidendamast oder feinstem Leinen geschmückt. Die exklusive
Garderobe konnte darin hängend verstaut werden. In der
Hotel-Suite übernahm der aufgestellte Schrankkoffer die Funktion
eines Kleider- oder Schuhschranks, wodurch das lästige Aus- und
Einpacken der Kleidung entfiel.
In den flotten
20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts bildeten Schrankkoffer
und großbürgerliche Welt sozusagen eine Einheit, waren Urlaub
zwecks Erholung, Vergnügung und Bildung dem privilegierten
Bürgertum vorbehalten. Als soziale Errungenschaft wurde der
gesetzlich verankerter Urlaub für Arbeiter und Angestellte
gefeiert. Allerdings reichte der hartverdiente Lohn bloß für
Tagesausflüge und Verwandtenbesuche. Einen ersten Schritt in
Richtung Massentourismus gingen die Nationalsozialisten mit
ihrer Freizeitorganisation "Kraft durch Freude". Gefördert durch
Staatsapparat und Staatskasse, gelang es, Tagesausflüge und
Kurzreisen zu Dumpingpreisen anzubieten. Billigangebote der
Veranstalter führten dazu, dass in Deutschland bis 1939 rund 7,4
Millionen Reisen vornehmlich an Besserverdienende und politische
Gefolgsleute verkauft wurden.
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Wie eng
Gepäckstücke mit dem Schicksal ihrer Besitzer verbunden waren,
zeigte in erschreckender Weise der "letzte Koffer" der zur
Deportation bestimmten Juden. Wer den Evakuierungsbefehl
erhalten hatte, musste sich zu dem angeführten Zeitpunkt an der
entsprechenden Sammelstelle einfinden - ansonsten drohte die
Verhaftung. Pro Person war nur ein Gepäckstück erlaubt.
Millionen packten ihre Koffer für die Reise ins Ghetto oder ins
Vernichtungslager. Sofort nach der Ankunft verloren sie auch
noch die letzten Habseligkeiten. Der Verlust der Koffer kam dem
Verlust des Privaten, gewissermaßen dem Verlust der eigenen
Identität gleich. Häftlinge schleppten das Gepäck in
"Effektenkammern", wo das "Beutegut" zunächst sortiert und
später den NS-Dienststellen überstellt wurde. Bei der Befreiung
der Vernichtungshöllen bot sich den englischen, französischen,
amerikanischen und sowjetischen Soldaten ein Bild des
Schreckens. Aufgetürmte Kofferberge lieferten erste Hinweise auf
die Zahl der Ermordeten.
Die Überlebenden
verdrängten weitgehend all diese Geschehnisse und Fakten. Zeit
und Energie flossen in den Wiederaufbau der Städte und
Industrien. Gesicherte und wachsende Einkommen ließen zu Beginn
der 50er Jahre im Mittelstand die Reiselust wachsen. Per Bus,
Bahn, Motorrad und Motorroller wurden Urlaubsziele vornehmlich
in den Bergen oder am Mittelmeer angesteuert, wo bescheidene
Quartiere für Erholung und Entspannung bereitstanden. Wenig
später rollte der Normalverbraucher schon mit dem Kleinwagen
durch die Lande. Der Nachkriegstourist reiste mit dem Handkoffer
aus veredeltem Naturleder, Lederimitat oder Leinen. Dank des
Wirtschaftwunders konnten erstmals in der Geschichte auch
Arbeiter und kleine Angestellte richtig Urlaub machen - sofern
er erschwinglich war. Speziell für fliegende Pauschaltouristen
brachten findige Hersteller den Kunststoff-Schalenkoffer nach
amerikanischem Vorbild auf den Markt. Als ideales Fluggepäck
machte der extrem leichte und stabile Aluminiumkoffer Furore,
der bereits 1939 von der Firma RIMOWA entwickelt, aber erst
Mitte der 50er Jahre zu einem Verkaufsschlager wurde. Die
Erfolgsstory von Kunststoff- und Aluminiumkoffer ist bis heute
ungebrochen, gelten doch beide als Sinnbilder für das große
Fernweh, für die Sehnsucht nach Sonne, Strand und Meer.
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Der rasante
gesellschaftliche Wandel der Gegenwart findet auch im Tourismus
seinen Niederschlag. Die Last-Minute-Angebote boomen, weil
Flexibilität aller Orten gefragt ist. Die bunte Palette der
Reiseformen findet in vielfältigen Kofferformen eine zeitgemäße
Entsprechung. Familien reisen gerne mit zwei, drei Handkoffern,
kleineren Handgepäckstücken und mit Rucksäcken für die Kids. Das
überlebenswichtige Beauty-Case gehört bei Society-Ladys zum
Standardgepäck, um auch im Urlaub gepflegt und gestylt
auszusehen. Wer mit einem Logo von Vuitton, Bree oder
Samsonite-Modell unterwegs ist, will Wohlstand demonstrieren
oder zumindest vortäuschen. Globetrotter sind mit einer
Survival-Ausrüstung, bestehend aus Rucksack und Schlafsack,
unterwegs. Damit ist der Koffer auch als Ausdruck der
unterschiedlichen sozialen Gruppierungen zu verstehen.
Neben den
Urlaubern sind Geschäftsreisende, Künstler, Politiker etc. im
Auto, Zug oder Flugzeug unterwegs. Zu ihrem Arbeitsalltag
gehören Konferenzen, Besprechungen, Präsentationen, Messen,
Tagungen, Symposien von unterschiedlicher Reisedauer.
Insbesondere für Flugreisende der Business Class scheint die
leichte und schnelle Handhabung der Reiseutensilien von
entscheidender Bedeutung zu sein, schließlich steht auch hier
die Devise "Time is money and speed wins" im Vordergrund. Neben
der obligatorischen Aktentasche werden häufig Laptop-hüllen und
kleinere Handkoffer mitgenommen, in denen neben den
Arbeitsutensilien auch noch ein paar Kleidungsstücke
untergebracht werden können.
Als innovative
Weiterentwicklung des Schrankkoffers präsentiert sich der
Kleidersack aus Nylon oder Leder, der beim Transfer eine
faltenfreie Garderobe garantiert. Seit den 90er Jahren ist der
High-Tech-Trolley ein Bestseller, dessen Rollen und Griffe die
Beförderung von schweren Gepäckstücken und laut Werbung das
"Reisen durch eine Welt ohne Hindernisse" erleichtern.
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