Der Schinderhannes
lebt: Auch 200 Jahre nach der Hinrichtung von Johannes Bückler,
dem bekanntesten Räuber Deutschlands, blüht noch immer die
Legende vom "Robin Hood des Hunsrück".
Der Schinderhannes wurde am 24.
Oktober 1777 in Miehlen im Hintertaunus geboren, und zwar als
ältester Sohn des Johann Bückler. Dessen Vater war ein
Wasenmeister gewesen, auch Abdecker oder Schinder genannt (daher
der Name Schinderhannes) – ein Gewerbe, das als „unehrlich“
galt, obwohl die Ausschlachtung und Beseitigung von Tierkadavern
durchaus eine nützliche Arbeit war. Man hat, um die spätere
Karriere des Schinderhannes zu erklären, gern auf die soziale
Deklassierung verwiesen, die mit dem Abdeckerberuf verbunden
war. Tatsächlich jedoch war Schinderhannes’ Vater dem Gewerbe
des Großvaters untreu geworden und hatte – nach der Heirat mit
Anna Maria Schmidt, einer Bauerntochter aus Miehlen – im Juli
1777 einen kleinen Hof bewirtschaftet. Dabei war er wohl nicht
sehr erfolgreich gewesen, denn Ende 1783 ließ sich Johann
Bückler senior als Söldner im Heer der Österreicher anwerben.
Seine Frau und die rasch anwachsende Kinderschar folgten ihm auf
allen Stationen, von Olmütz bis Brünn. Es war ein unstetes Leben
in der rauen Luft der Garnisonsstädte.
ANEKDOTE |
Der
schalkhafte Räuber
In Kreuznach war
Viehmarkt. Aus allen Richtungen kamen die Händler und Bauern
mit gefüllten Geldbörsen, um Geschäfte zu machen. Der
Schinderhannes wollte sich an diesen Geschäften beteiligen.
Also legte er
sich mit seinen Gesellen auf die Lauer. Er brauchte nicht
lange zu warten, bis eine Schar Händler kam, im munteren
Gespräch über zwielichtige Geschäfte, die sie abgewickelt
hatten. Plötzlich schob Schinderhannes den Lauf seiner
Flinte hinter einem Felsen vor und donnerte den
Erschrockenen ein mächtiges "HALT" entgegen. Wie angewurzelt
blieben sie stehen. "Der Schinderhannes!" rief schließlich
einer, der sich vom ersten Schrecken erholt hatte. Die
ganze Gesellschaft wollte kehrtmachen und Reißaus nehmen.
Aber als die Handelsleute sich umdrehten, blickten sie in
schwarze verschmierte Gesichter und drohende
Gewehrmündungen. Sie waren umzingelt, eine Flucht war
unmöglich und so ergaben sie sich zeternd und jammerten in
ihr ungewisses Schicksal. Schinderhannes kam mit
vorgehaltener Flinte gemächlich vom Felsen herab und trat
vor die Händler.
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"Die
Geldbörsen her !" fuhr er sie an. Einige hatten vorsorglich
ein Teil ihres Geldes am Körper versteckt oder in die
Kleider genäht, doch Schinderhannes kannte diese Tricks und
ließ einen jeden gründlich visitieren. Schließlich hatte
keiner der Geprellten auch nur so viel Geld, dass er sich
auf dem Markt ein Ziegenfellchen hätte kaufen können. Nun
befahl der Räuberhauptmann barsch: "Schuhe ausziehen und auf
einen Haufen werfen! " Verdutzt sahen die Händler sich an.
Was sollte denn das bedeuten? Aber ein Blick auf den
Schinderhannes verriet ihnen, dass er es erst meinte. Als
alle ihre Schuhe hingelegt hatten, wühlte ein Schalk die
Paare so durcheinander, dass nicht ein einziges
zusammenblieb. dann zog der Schinderhannes seine Uhr heraus
und rief: " Anziehen! Wer in fünf Minuten seine Schuhe nicht
anhat, wird erschossen." Wie die Raubkatzen stürzten sie
sich auf die Schuhe. Jeder wollte die besten herausfischen,
jeder wollte aber auch schnell hier wegkommen. Ein wüstes
Handgemenge entstand, sie schlugen sich die Köpfe blutig,
zausten sich gegenseitig an den Haaren und rissen sich die
Kleider vom Leibe. Die fünf Minuten waren lange vorbei, als
der letzte ein Paar Schuhe zusammengerafft hatte. Der
Schinderhannes und seine Bande waren inzwischen
verschwunden. Auf dem Markt zu Kreuznach erzählte man von
nichts anderem als von diesem schalkhaften Streich des
Schinderhannes. |
1787 desertierte er und kehrte
mit seiner Familie in den Geburtsort des Vaters, nach Merzweiler
(Norden der Rheinpfalz), zurück. Hier geriet der "Schindersohn"
auf Abwege und begann seine Räuberkariere dadurch, das er
systematisch Hammel stahl, weil er für ein lustiges Leben unter
Altersgenossen Geld brauchte. Sein Lehrmeister (ebenfalls
Abdecker) Nagel erstattete 1795 Anzeige und ließ Johannes
verhaften, der daraufhin nachts über die Dächer entwich. Durch
diese Tat wurde er zu einem flüchtigen Dieb, der nicht wieder in
die bürgerliche Gesellschaft zurückkehren konnte und das
abenteuerliche Räuberleben des "Schinderhannes", das schon zu
seiner Lebenszeit für Legenden sorgte, begann.
Anfangs trieb Johannes sich
ziemlich planlos auf dem Hunsrück herum, bis er Spießgesellen
fand und mit ihnen das Diebesleben in größerem Stil fortsetzen
konnte. Durch seine gewagten Schachzüge (z.B. raubte er des
öfteren ein Lager aus und verkaufte die Beute dann an den
Eigentümer zurück) und seinem fast wundersamen Geschick, aus
jeder Festnahme zu entkommen, bekam er bald den Ruf, mit dem
Teufel im Bunde zu stehen und die Bevölkerung sprach oft nur im
Flüsterton von ihm. So pendelte der Schinderhannes, unter
verschiedenen Identitäten, unbehelligt immer von einer
Rheinseite zur anderen, je nachdem wie heiß ihm der Boden unter
den Füßen zu werden schien.
Im Jahre 1799 verbrachte Hannes
ein halbes Jahr im Gefängnis von Simmern (Hunsrück), kaum wieder
frei fasste er zum ersten Mal den Plan ins Auge, eine große
Bande anzuführen, die unter seinem Befehl Diebstahl in richtig
großem Stil betreiben sollte.
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Gefängnis
von Simmern |
Da er sich bei
der Flucht ein Bein gebrochen hatte, und im kommenden Frühjahr
die hübsche Julia Bläsius (bekannt unter "Julchen") kennen
lernte und mit ihr zusammenlebte (ohne kirchlichen Segen) konnte
er den großen Plan erst im Herbst 1800 verwirklichen.
In Kellenfels,
Hahnenbach und Birkenfels wurden Lager errichtet, die kleinen
Residenzen gleichen: Es gibt rauschende Feste mit Gesang und
'Damen', Wächter vor den Eingängen und sogar Angestellte, die
die gestohlenen Waren weiterverarbeiteten. So wurden dort auch,
die für Schinderhannes so typischen, Jägeranzüge von seinem
Leibschneider hergestellte.
Da dies das beste
Leben war, das Johannes sich vorstellen konnte, versuchte er
auch nicht, die politische Situation zu verändern, wie viele
andere es in ähnlichen Stellungen taten. Durch wechselnde
Freigiebigkeit und Machtdemonstrationen konnte die Bande viele
Dörfler in der Umgebung daran hindern sie anzuzeigen. Sie gingen
sogar so weit, auf 'Anzeige' von Dörflern, Wucherer zu
überfallen und sich so die Beliebtheit der Bevölkerung zu
sichern. Einbruch, Raub, Diebstahl und Erpressung war
schließlich für Schinderhannes und seine Gesellen ein
ertragreiches Gewerbe. Ein versierter Schreiber erledigte die
Korrespondenz von Drohbriefen der Bande. Immer wieder erpresste
sie so trotz "freundlicher Grüße" oder "Gruß und Bruderlieb"
Zahlungen, indem sie Kaufleute oder Metallindustrielle mit hohen
Kautionen zu "Audienzen" lud. Regelmäßige Steuern Tributwilliger
gaben der Bande eine solide Finanzgrundlage, wenn Schinderhannes
auch gegen verarmte "Steuerzahler" stets Großmut walten ließ.
Darüber hinaus zeigten alle Einbrüche eine sorgfältig
ausgebildete Methode: Ein Balken rammte die Türen. Die Banditen
fesselten und knebelten die Hausbewohner, raubten und drohten
jedem der schreiben wollte mit dem Tod. Weil Schinderhannes die
Brücken zu einem neuen, ehrbaren bürgerlichen Leben nie ganz
abbrechen wollte, scheute er jedes Blutvergießen und versuchte,
wenn auch oft vergeblich, die Spießgesellen zu bändigen.

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ANEKDOTE |
Schinderhannes
und der Viehhändler
Eines Tages, als Schinderhannes
einen Jahrmarkt besuchen wollte, begegnete ihm eine alte Bauersfrau, von der er
erfuhr, dass sie eine Kuh kaufen wolle. Weinend erzählte das arme Weib, ihr Vieh
sei gefallen und sie müsse trachten, billig einzukaufen, da sie nur 10
Kronentaler hätte. Schinderhannes gab der Frau noch 10 Kronentaler, damit sie
sich die beste Kuh auf dem ganzen Markte aussuchen könne. Er stellte nur die
Bedingung, dass sie sich von dem Viehhändler eine Quittung ausstellen lassen und
ihm bringen müsse. Das geschah auch. Schinderhannes lauerte nun abends dem
Viehhändler auf, zeigte ihm die Quittung und bat sich höflichst gegen Rückgabe
derselben 20 Kronentaler aus. Der Viehhändler weigerte sich nicht im geringsten,
löste die Quittung gleich ein und war froh, heiler Haut davon zu kommen.
|
Julchen, seine
Frau, begleitete ihn in Männertracht, falls sie nicht
rechtsrheinisch Kurzwaren oder Beute verkaufte. Einer der
berühmtesten Genossen des Schinderhannes war Johann Leiendecker,
ein Schuhmacher, der viele der Raubüberfälle mitplante. Von ihm
stammt wahrscheinlich auch die Idee, "Sicherheitskarten" zu
verkaufen, die vor dem Zugriff der Bande schützten. Im Gegensatz
zu vielen seiner Mitgenossen wurde er nie festgenommen und
setzte sich schließlich nach Holland ab, wo er mehr oder minder
dem Tagewerk eines ehrlichen Schusters nachging.
Seit Ende 1800
begannen die verschärften Maßnahmen der Polizei zu wirken.
Dorfbewohner schöpften Mut und organisierten Widerstand. In
immer kürzeren Abständen musste Schinderhannes ins
Rechtsrheinische fliehen, um sich den Verfolgern zu entziehen.
Nachdem bei einem Überfall Anfang September 1801 ein weiterer
jüdischer Händler, Mendel Löw, erschossen worden war, verstärkte
die Obrigkeit die Fahndung. Im Dezember 1801 setzte sie eine
Sonderkommission zur Bekämpfung der Bandenkriminalität ein, und
am 11. Mai 1802 erließ sie einen Steckbrief gegen den
„berüchtigten Räuber Johannes Bückler, genannt Schinderhannes“.
Einen Tag später forderte der nicht minder berüchtigte
französische Polizeiminister Joseph Fouché die Länder auf der
rechten Rheinseite auf, gemeinsam gegen den Räuberhauptmann
vorzugehen. Der suchte als fahrender Händler unter dem Namen
Jakob Ofenloch zu entkommen, fiel zweimal einer Streife in die
Hände, ohne erkannt zu werden, wurde aber schließlich im Juni
1802, als er sich in Limburg an der Lahn als Soldat anwerben
lassen wollte, von einem ehemaligen Komplizen identifiziert. Man
brachte ihn nach Frankfurt und lieferte ihn an die französischen
Behörden aus.
 |
Ein dreiviertel
Jahr, vom 19. Juni 1802 bis 18. März 1803, wurde Schinderhannes
in Mainz vernommen. Dabei erwies er sich als erstaunlich
redselig. Nicht nur verblüffte er die Untersuchungsrichter durch
sein phänomenales Gedächtnis, was seine Raubtaten betraf; er
nannte ohne Zögern auch die Namen derer, die daran beteiligt
gewesen waren, sodass die Zahl der Mitangeklagten schließlich
auf 67 anwuchs. Zweifellos hoffte Bückler, durch sein Geständnis
vom Ersten Konsul in Paris, Napoleon Bonaparte, begnadigt zu
werden. Immer wieder beteuerte er, dass man ihm „doch keine
Grausamkeit“ vorwerfen könne: „Wenn meine Mitschuldigen deren
begangen haben, so tat ich alles, was von mir abhing, um sie
davon abzuhalten.“
Nach Abschluss der Voruntersuchung vergingen weitere sieben
Monate, bevor am 24.Oktober 1803 der Prozess eröffnet werden
konnte. Den Vorsitz führte der als republikanischer Publizist
bekannt gewordene Jurist und damalige Präsident des Mainzer
Kriminalgerichts, Georg Friedrich Rebmann. Die Verhandlung fand
im Akademiesaal des ehemals Kurfürstlichen Schlosses statt –
dort, wo zehn Jahre zuvor, 1792/93, der örtliche Jakobinerklub
getagt und die kurzlebige Mainzer Republik, die erste Republik
auf deutschem Boden, vorbereitet hatte.
Das Interesse des Publikums war außerordentlich, man riss sich
um die Eintrittskarten, und Schinderhannes enttäuschte die
Erwartungen nicht. Erhobenen Hauptes betrat er den Gerichtssaal,
„wandelte so flüchtig und heiter dahin, als wenn es zum Tanze
gehe“. Diese Rolle hielt er bis zum Ende durch, und auch das
Todesurteil am 20. November nahm er gefasst auf.
 |
Am Nachmittag des
19. November zog das Gericht seine Mitglieder zur Beratung
zurück, am 20. November verkündete das Tribunal das Urteil. Es
sprach 20 Personen, aus Mangel an mangels Beweisen frei.
Auf Schinderhannes und 19 Komplizen erkannte das Gericht die
Todesstrafe. Drei Morde, 20 Raubüberfälle und 30 Diebstähle
hielt das Gericht bei Schinderhannes für erwiesen. Kerkerketten
und Zuchthaus erwarteten die anderen, Vater Bückler erhielt eine
22jährige Kettenstrafe. Julchen Bläsius (die trotzdem später
noch einen Gendarmen heiratet und 1851 als wohlachtbare
Bürgersfrau stirbt) musste lediglich zwei Jahre ins Zuchthaus.
Am 21. November
1803 vollstreckte die Guillotine vor den Toren von Mainz unter
den Augen von 40.000 Zuschauern die Todesurteile. Woran sich die
Zuschauer hinterher erinnerte, war die Gefasstheit, mit der der
Verurteilte Johannes Bückler, bekannt und gefürchtet als
"Schinderhannes", seinem Tod entgegensah. Seine letzten Worte
sollen gewesen sein: "Ich habe den Tod verdient, aber zehn von
meinen Kameraden nicht."
Der Augenzeuge
Weizel schrieb hinterher darüber: "Die Ruhe und Fassung dieses
Menschen in dem entsetzlichen Momente war erstaunenswürdig. Kein
Zug von Wildheit oder Brutalität entstellte sein Gesicht, er
schien ruhig und heiter. Wäre er für eine gute Sache gestorben,
man müsste seine kräftige Natur rühmen. Gewiss hätte was
treffliches aus dem Menschen werden können. Sein Verhängnis
wollte, dass er unter der Hand des Henkers sterben sollte."
„Bückler war tot, doch tatsächlich lebte Schinderhannes nach seiner
Hinrichtung fort, und zwar nicht als der, der er gewesen war, sondern wie man
sich ihn imaginierte: als ein Robin Hood des Hunsrück, der den Reichen genommen
hatte, um den Armen zu geben. Je weiter der Tod Bücklers zurücklag, desto üppiger
schoss der Schinderhannes-Mythos ins Kraut. In Liedern und Balladen, in Dramen
und Puppenspielen, in Romanen und Biografien wurde das Hohelied auf den edlen
Räuber gesungen, der das Geraubte verschenkt und mutig gegen die französische
Besatzungsmacht gekämpft habe. Das setzte sich auch im 20. Jahrhundert fort, von Carl Zuckmayers
volkstümlichem Schauspiel Schinderhannes (1927) bis zu Helmut Käutners
erfolgreichem Kinofilm von 1958 (mit Curd Jürgens und Maria Schell in den
Hauptrollen), der den vorläufigen Höhepunkt in der Romantisierung und
Verkitschung des historischen Stoffes markiert.
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Heute setzen
tüchtige Werbemanager: auf den "Schinderhannes-Mythos". Schnitzel, Brot, Wein
und Bier haben sie nach dem legendären Räuberhauptmann benannt und Firmen,
Hotels und Restaurants in ganz Deutschland werben mit dem Namen
SCHINDERHANNES
Die
Delikte des Schinderhannes
|
|
Delikte gegen
das |
Eigentum |
Vermögen |
Leben |
Anzahl |
Diebstahl |
Raub |
Erpressung |
Mord |
1796 |
3 |
3 |
–––– |
–––– |
–––– |
1797 |
35 |
34 |
–––– |
–––– |
1 |
1798 |
25 |
21 |
–––– |
2 |
2 |
1799 |
12 |
6 |
5 |
1 |
–––– |
1800 |
57 |
7 |
32 |
14 |
4 |
1801 |
47 |
13 |
28 |
5 |
1 |
1802 |
22 |
4 |
6 |
12 |
–––– |
undatiert |
10 |
8 |
–––– |
1 |
1 |
Summe |
211 |
96 |
71 |
35 |
9 |
Die
Bandenmitglieder
 |
Die berühmteste
deutsche Räuberbraut war zweifellos Juliana Blasius
(1781-1851). Sie lebte drei Jahre lang mit dem legendären Räuber
"Schinderhannes" zusammen. In französischen Dokumenten jener
Zeit hießen die beiden "Julie Blaesius" und "Jean Buckler".
Juliana Blasius kam am 22. August 1781 als Tochter des
Musikanten und Tagelöhners Johann Nikolaus Blasius (geb. 1751)
in Weierbach bei Idar-Oberstein (heute Rheinland-Pfalz) zur Welt
und wuchs dort auf. Das "Julchen" trat zusammen mit dem Vater
und der Schwester Margarethe (geb. 1779) auf Märkten und bei
Kirchweihen als Bänkelsängerin und Geigenspielerin auf.
Das Todesjahr von "Julchens" Vater und Schwester ist nicht mehr
eruierbar. Denn die Kirchenbücher von Weierbach aus der Zeit von
1798 bis 1830 liegen nur noch in Bruchstücken vor. Daraus geht
jedoch - nach Mitteilung des Pfarrers i. R. Erich Henn aus
Idar-Oberstein - die Schreibweise des Familiennamens Blasius
hervor. Als Vorname wird in der Literatur mitunter auch Juliane
angegeben, als Familienname manchmal Bläsius.
Zu Ostern 1800 sah Johannes Bückler das 18-jährige "Julchen" zum
ersten Mal auf dem Wickenhof bei Kirn, als sie dort mit ihrem
Vater und ihrer Schwester zum Tanz aufspielte. Durch einen
Komplizen bestellte er das "Julchen" und Margarethe zwei Wochen
später in den Wald bei Weierbach - Flurbezeichnung Dollberg -,
wo jemand wäre, der mit ihnen reden wolle.
Nach dem heimlichen Treffen im Wald bei Weierbach zog das "Julchen"
fortan mit dem "Schinderhannes", der vor ihr schon acht andere
Geliebte hatte, durch das Land. Vier der Geliebten sind
namentlich bekannt: Elise Werner, Buzliese-Amie, Katharina
Pfeiffer und Margarethe Blasius - ihre Schwester Margarethe war
mit einem Spießgesellen des Hannes namens Peter Dalheimer
liiert.
Beim Prozess gegen den Räuber erklärte das "Julchen" später, sie
sei als 15-Jährige mit Gewalt entführt worden. Diese Aussage
dürfte eine Notlüge gewesen sein, denn das "Julchen" hätte
später, wenn es in Abwesenheit des "Schinderhannes" als
"Händlerin Ofenloch" unterwegs war, flüchten können.
Auf dem Höhepunkt seiner Macht um 1800 hielt sich der
"Schinderhannes" mit dem "Julchen" und seiner Bande auf der halb
verfallenen Schmidtburg im Hahnenbachtal oberhalb von Kirn auf.
Die Burg war seit der französischen Annektion 1795 von ihren
Besitzern verlassen worden. Im nahegelegenen Dorf Griebelschied
feierte die Bande in einem Gasthof sogar einen öffentlichen
"Räuberball".
Zusammen mit Johannes Bückler beteiligte sich "Julchen" Blasius
mehrfach - teilweise in Männerkleidung - an brutalen Überfällen,
bei denen sie es sogar in Kauf nahm, dass die Opfer - wie der
Jude Wolff Wiener in Hottenbach - gequält wurden. In dem Roman
"Unter dem Freiheitsbaum" (1922) der aus Trier stammenden
Schriftstellerin Clara Viebig (1860-1952) wird die Räuberbraut
als mutig, skrupellos, temperamentvoll und attraktiv
dargestellt.
Zu einem heute nicht mehr genau bekannten Zeitpunkt brachte "Julchen"
Blasius in Bruchsal (heute Baden-Württemberg) eine Tochter des
"Schinderhannes" zur Welt, die bald starb. Während ihrer
Gefangenschaft im Mainzer Holzturm gebar das "Julchen" am 1.
Oktober 1802 einen Sohn des "Schinderhannes", der Franz Wilhelm
getauft wurde. Im selben Jahr kam ihre Schwester Margarethe
wegen Diebstahls und Herumlungerns ins Gefängnis nach
Kaiserslautern.
Der Mannheimer Künstler Karl Mathias Ernst (1758-1830)
porträtierte das "Julchen" mit dem Säugling an der Brust und den
"Schinderhannes" mit Handschellen. Auf dem vermutlich geschönten
Bild sind die drei herausgeputzt und auf Biedermeier-Idylle
getrimmt dargestellt. Der Junge wurde später von dem Mainzer
Zollwächter (Steuereinnehmer) Johannes Weiß adoptiert. Sein
späteres Schicksal ist nicht bekannt.
"Julchen" Blasius wurde im Prozess gegen den "Schinderhannes"
und seine Kumpane zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Die
verhältnismäßig milde Strafe beruhte darauf, dass ihr Geliebter
sie während des Verfahrens immer wieder zu entlasten versuchte.
Er sagte: "Ich habe sie verführt, sie ist unschuldig." Der
Gerichtsort Mainz hieß damals Mayence und lag im französischen
Département du Mont-Tonnere ("Donnersberg"), und der
"Schinderhannes" wurde als französischer Staatsbürger "citoyen
Jean Buckler" angeklagt.
Nach der Hinrichtung des "Schinderhannes" verbüßte "Julchen"
Blasius ihre Haftstrafe im "Korrektionshaus" in Gent (Belgien).
Nach ihrer Entlassung arbeitete sie zunächst als Dienstmädchen
beim Pflegevater ihres Sohnes in Mainz. Bald darauf kehrte sie -
vermutlich wegen Nachstellungen der Männer dieses Hauses - in
ihren Heimatort Weierbach zurück.
In Weierbach ehelichte "Julchen" Blasius einen Gendarmen namens
Uebel, der bald darauf während der Befreiungskriege starb. Am 2.
Juli 1814 heiratete sie im Alter von 32 Jahren in Weierbach
ihren verwitweten Vetter, den Ortspolizeidiener Johann Blasius.
Aus dieser Ehe gingen sieben Kinder hervor, von denen allerdings
nur zwei das Erwachsenenalter erreichten.
In späteren Jahren wurde Juliana Blasius zuweilen von in
Weierbach durchreisenden Fremden neugierig bestaunt. Dabei
spendierte man ihr manchmal einen Schnaps, worauf sie sich als
"Frau des Schinderhannes" brüstete. Als dies die Behörden
erfuhren, erhielt das "Julchen" 1844 den Besuch eines
Staatsanwalts aus Saarbrücken. Er befand, sie sei "reinlich
gekleidet" und ,,noch gut konserviert". Bei der Unterredung
bezeichnete sie die Zeit an der Seite ihres "ersten Mannes" als
die schönste.
Juliana Blasius überlebte den "Schinderhannes" um 47 Jahre. Am
3. Juli 1851 starb sie im Alter von 69 Jahren in ihrem Heimatort
an Wassersucht.
 |
Der ehemaliger
Müller und Pächter des Ibenerhofes Peter Hassinger, um
1772 im pfälzischen Albisheim geboren, wurde am 21. Juni 1802 in
Simmern verhaftet und war eines der brutalsten Mitglieder der
Schinderhannesbande. Michel Isaak, ein Hehler der Bande, sagte
1802 in Mainz bei einer Gegenüberstellung aus, dass der „Haß des
Peter Hassinger (...) sich in allen Gemüther der Bande des
Schinderhannes verbreitet“ habe. Hassinger nahm u. a. an den
Gewaltstreichen in Erbesbüdesheim, Obermoschel, Sötern,
Staudernheim und Waldgrehweiler teil und war in Mainz voll
geständig. Sein Abgleiten in die Kriminalität begründete er
damit, dass er und seine Familie infolge der kriegerischen
Auseinandersetzungen verarmt seien und der Schinderhannes ihn in
dieser Notsituation zum Begehen von Verbrechen aufgefordert
habe. Peter Hassinger wurde 1803 zum Tode verurteilt.
 |
Georg
Friedrich Schulz, genannt "der schlechte Freier", war bei
seiner Festnahme 22 Jahre alt und stammte aus Rohrbach bei
Heidelberg. Er verpflichtete sich zunächst als Soldat,
desertierte aber mehrfach und verdingte sich zunächst als
fahrender Zunderkrämer und Korbmacher, ehe er ins kriminelle
Milieu abglitt. Schon früh schloss er sich Johannes Bückler an
und verübte mit diesem eine Reihe von Pferdediebstählen. Darüber
hinaus beteiligte er sich u. a. an den Überfällen in
Erbesbüdesheim, Klein-Rohrheim, Laufersweiler, Obermoschel und
Sötern, für den Raubzug in Staudernheim lieh er sich eine
Pistole bei dem Ibener Müller Heinrich Rupp, die er allerdings
wegen der Gegenwehr der Dorfbewohner am Tatort zurückließ. Am
28. Mai 1802 wurde Schulz in Eckelsheim bei einem Streifzug der
Bauern verhaftet und vor den zuständigen Friedensrichter Lewer
in Wöllstein gebracht; bei seiner Festnahme führte Schulz zwei
Pferde mit sich, die er kurz zuvor in der Nähe von Lorsch
gestohlen hatte. In Wöllstein erkannte ihn einer der Bauern als
einen Komplizen des Schinderhannes, weswegen Schulz drei Tage
später von Lewer an das Mainzer Spezialgericht überstellt wurde.
Hier verhörte ihn Richter Wernher über mehrere Monate, wobei
Schulz allerdings bis zuletzt eine Beteiligung an den
Bandendelikten leugnete. Das Spezialgericht sah aber aufgrund
seiner umfangreichen Ermittlungen genügend Verdachtsmomente für
seine Verurteilung, zumal er auch von seinen Komplizen schwer
belastet worden war. 1803 verurteilte man ihn zum Tode.
 |
Der aus
Wickenroth stammende Philipp Klein, als Sohn eines
ehemaligen nassauischen Husars auch "Husaren Philipp" genannt,
war ein 35jähriger Tagelöhner und Feldschütze in Dickesbach.
Mehrfach wegen verschiedener Vergehen inhaftiert und schließlich
zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt, schloß sich Klein,
der mit Katharina Schüßler verheiratet war, der
Schinderhannesbande an und beteiligte sich im Januar 1800 an dem
Überfall auf den Müller Horbach (Antesmühle) sowie an der
Ermordung von Peter Riegel in Otzweiler. Nachdem ihn
Schinderhannes in Mainz als einer seiner Komplizen denunziert
hatte, erließ der Kirner Friedensrichter Becker am 18. Dezember
1802 einen Haftbefehl und überstellte Klein in die Kompetenz des
Mainzer Spezialgerichts. Hier leugnete Klein zunächst jegliche
Beteiligung an den Straftaten der Bande, verstrickte sich aber
in Widersprüche und wurde am 21. November 1803 hingerichtet.
Klein stand in einer besonders engen Beziehung zu Schinderhannes
und hatte um Ostern 1800 den Kontakt zwischen Bückler und
Juliana Bläsius hergestellt.
 |
Franz Bayer,
genannt der "Scheele Franz", war ein 37jähriger Zunderkrämer aus
Worms. Er geriet schon früh mit dem Gesetz in Konflikt und wurde
wegen verschiedener schwerer Verbrechen, die er teilweise
zusammen mit seinem Bruder Adam begangen hatte, mehrfach
inhaftiert. Um das Jahr 1787 war er an einem Überfall auf einen
jüdischen Kaufmann in der Nähe von Heidelberg beteiligt,
weswegen er nach seiner Verhaftung und Aburteilung ausgepeitscht
und schließlich als notorischer Übeltäter gemäß den Bestimmungen
der Carolina gebrandmarkt wurde. Unbeeindruckt von diesen harten
Strafen, setzte Bayer seine kriminelle Karriere fort und verübte
beispielsweise zusammen mit seinem Bruder Adam und Michel
Siegler im September 1797 einen Einbruch bei dem Frankenthaler
Kaufmann Arnold Schmitt. Das Trio wurde jedoch verhaftet und in
Speyer inhaftiert, von wo aus Bayer allerdings kurze Zeit später
fliehen konnte. Als Mitglied der Schinderhannesbande beteiligte
sich Bayer u. a. an den Überfällen auf Herz Mayer in Ulmet und
den Nationalgendarmen André. Im November 1801 wurde Bayer nach
seiner erneuten Verhaftung in Lindenfels festgesetzt und
schließlich am 13. August 1802 den Franzosen übergeben. Obgleich
er in seinen Verhören gegenüber dem Untersuchungsrichter
Derousse ein völliges Geständnis ablegte, verurteilte ihn das
Spezialgericht 1803 zum Tode.
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Christian
Rheinhard, genannt "Schwarzer Jonas", wurde um 1775 in
Berlin als Sohn eines preußischen Soldaten geboren. Nach dem
Tode des Vater zog die Familie in die Wetterau, wo die Mutter
einen ambulanten Warenhandel betrieb. Reinhard selbst betätigte
sich als Musikant und Bänkelspieler und war zeitweise als
Fayencehändler tätig. Zu Beginn der 1790er Jahre heiratete er
die ebenfalls in Mainz angeklagte Margaretha Eberhard, mit der
er zwei Kinder hatte. Rheinhard war einer der treuesten
Gefährten des Schinderhannes und an den meisten Gewaltverbrechen
der Bande beteiligt. Zusammen mit Johannes Bückler wurde er im
Juni 1802 in Limburg verhaftet und nach Mainz gebracht. In
seinen Verhören vor Richter Wernher legte Rheinhard ein
umfassendes Geständnis ab. Am 19. November 1803 verurteilte ihn
das Mainzer Spezialgericht zum Tod durch die Guillotine.
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Johannes Müller
(Vater), auch "Müllerhannes" oder "Butla" genannt, wurde am 1.
April 1802 in der Nähe von Alzey festgenommen; zum Zeitpunkt
seiner Verhaftung war der aus Kinderbeuern stammende
Zunderhändler bereits 55 Jahre alt. Müller hatte mit seiner in
Lebach geborenen Frau neun Kinder und ernährte seine Familie
durch einen ambulanten Kleinhandel, im Sommer verdingte er sich
zudem als Tagelöhner. Er geriet, wie die meisten
Bandenmitglieder, schon früh mit dem Gesetz in Konflikt,
weswegen er bereits mehrfach eingesessen hatte. Zu Beginn der
1790er Jahre hielt sich die Familie vornehmlich in Lettweiler
und in Hallgarten auf. Müller fand ebenso wie seine beiden Söhne
Johannes und Johann Nikolaus Kontakt zu Mitgliedern der
Schinderhannesbande und beteiligte sich aktiv an den Überfällen
in Erbesbüdesheim, Laufersweiler und Sötern. Der Obermoscheler
Friedensrichter Schmitt ließ ihn am 16. April 1802 nach Mainz
bringen, wo er im Holzturm inhaftiert wurde. In seinen Verhören
leugnete Müller zunächst hartnäckig, an den ihm zur Last
gelegten Verbrechen beteiligt gewesen zu sein und konnte nicht
erklären, weshalb man ihn für ein Bandemitglied hielt. Erst nach
mehreren Gegenüberstellungen mit seinen bereits verhafteten
Komplizen und einer nicht enden wollenden Flut von Fragen durch
Richter Derousse wurde ihm die Aussichtslosigkeit seiner
Situation bewusst. Schon am 10. Mai 1802 legte er ein umfassendes
Geständnis ab und bekannte die ihm zur Last gelegten Verbrechen
ein. Das Spezialgericht verurteilte ihn ebenso wie seinen Sohn
Johann Nikolaus im November 1803 zum Tode; Johannes Müller
(Sohn) war bereits im Frühjahr 1803 an den Folgen der
venerischen Krankheit im Holzturm verstorben.
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