Gemächlich schwebt die offene Gondel dahin. Die kleine Seilbahn lässt sich
Zeit für die Strecke von der Rüdesheimer Innenstadt hinauf zum Niederwald.
Gelegenheit, den Blick schweifen zu lassen. Die Fahrt geht durch sattgrüne
Weinberge, das Städtchen zu ihrem Fuß wirkt malerisch und beschaulich:
Souvenirbuden und Touristenmassen bleiben dem Blick verborgen. Auf dem Rhein
stampft gerade ein Lastkahn stromaufwärts. Am Ortsrand die Weinbrennerei Asbach,
eines der drei Wahrzeichen des Touristenmekkas im Rheingau. Das zweite ist von
hier oben nicht zu sehen. Die Drosselgasse, der "weltweite Inbegriff deutscher
Weinseligkeit", verbirgt sich zwischen den alten Häusern.
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Nur drei Meter
breit und 144 Meter lang ist die Drosselgasse. Kein Wunder, dass
bereits wenige Besucher sie angenehm beleben; ein paar mehr, und
schon ist das enge Gässchen gefüllt. Der Ansturm an einem
Sommerwochenende führt unweigerlich zur totalen Verstopfung. In
den großräumigen Lokalen und Weingärten soll das Schunkeln
erfunden worden sein, und selbst in den etwas anspruchsvolleren
Restaurants bekommt die Stimmung im Laufe des Abends
Festzeltcharakter. Dann spielen die Musiker ein Potpourri aus
Trinkliedern und deutschen Schnulzen, geben einen Schuss Elvis
Presley dazu, und schon ist die internationale Trinkgemeinde in
der „fröhlichsten Gasse der Welt“ bestens gelaunt.
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Die Seilbahngondel hat ihr Ziel erreicht. Und nach fünf Minuten zu Fuß auf
geteertem Weg durch den schattigen Niederwald, hoch über dem Rhein, auch der
Besucher. Dann steht er oben beim dritten und mächtigsten Wahrzeichen von
Rüdesheim und lässt sich fotografieren vor der riesigen Germania. Neben
Drosselgasse und Weinbrennerei ist das Niederwalddenkmal untrennbar mit dem Ort
assoziiert. Seit 1883 hält hier die kolossale Statue "Wacht am Rhein" und
seitdem zieht sie auch in Massen die Besucher an.
In den Jahren
zwischen 1877 und 1883 erbaute man das Niederwalddenkmal mit der
"Germania". Man wollte mit dem fast 38 m hohen Monument ein
Andenken an den deutsch-französischen Krieg von 1870/71 und die
Wiedereinführung des Deutschen Kaiserreiches schaffen. Das
Denkmal war der Grundstock für den modernen Tourismus. Um den
zahlreichen Besuchern, die das Monument besichtigen wollten,
gerecht zu werden, baute man eine Zahnradbahn, die ab 1884, als
Vorläufer der heutigen Seilbahn, die Besucher durch die
Weinberge zum Denkmal beförderte. 1954 löste die Seilbahn die
Zahnradbahn ab. In den 2-Personen-Gondeln schwebten seitdem mehr
als 20 Millionen Menschen aus aller Welt über die Reben zum
Niederwalddenkmal.
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Nach ausgiebigem Blick über das romantische Rheintal, fährt man
wieder hinunter, um in der Drosselgasse ein Schlückchen Wein in Ehren zu nehmen,
zur Orgel eines Alleinunterhalters zu tanzen, um schließlich
schweren Herzens Rüdesheim wieder zu verlassen.
Dabei gäbe es noch soviel zu sehen rund um Rüdesheim. Allein der
Niederwald bietet gut 50 Kilometer Wanderwege. Wer bei der Germania gleich
wieder umkehrt, versäumt zum Beispiel den Weg "rund um den Niederwald" mit
vielen lohnenden Aussichtspunkten auf das Rheintal und der Möglichkeit, mit
Sessellift und Schiffchen nach Rüdesheim zurückzukehren.
History
Die Drosselgasse ist eine jener sechs engen Gässlein, die wie Kammzinken von
der Oberstraße zum Rhein hinunter laufen und vermutlich im 15. Jahrhundert bei
der Erweiterung der Rüdesheimer Altstadt angelegt wurden. Dabei wurde die
Drosselgasse zum bevorzugten Quartier der Rheinschiffer.
Anders verhielt es sich mit dem heute ältesten Haus Drosselgasse Nr. 5 (einst
Haus Nr. 44), dem heutigen "Drosselhof". Die Rheinschiffer- und
Weingutsbesitzer-Tochter Elisabeth Meurer erbte 1857 den "Drosselhof" und ihr
Mann, Johannes Müller, richtete statt einer Straußwirtschaft eine richtige
Weinwirtschaft ein. Zwar war damals Müller der einzige Wirt in der Drosselgasse,
doch machten ihm in der Stadt mehr als ein Dutzend beliebter Straußwirtschaften
genug Konkurrenz. Doch Müller erkannte, dass die Gäste in Scharen angelockt
wurden, wenn fröhlicher Rundgesang aus seinem Lokal erschallte. Also animierte
er die Studenten der Binger Technischen Fachschule, wegen ihres bescheidenen
Taschengeldes auch "die Groschebuwe" genannt, sonntags in seiner Weinstube
fleißig ihre Kommerslieder zu singen, wofür er ihnen gratis Wein einschenkte.
Dies fand bei den Touristen großen Anklang. Doch damit nicht genug: 1883
verfasste Otto Hausmann für den Drosselhof ein eigenes Hauslied: "Zu Rüdesheim
in der Drosselgass", das von J. Pauli vertont wurde. Dieses Lied sollte
wesentlich zur Berühmtheit der Gasse beitragen.
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1883 fielen sämtliche Häuser in der unteren Hälfte der Drosselgasse zwei
gewaltigen Feuersbrünsten zum Opfer. Zwar wurden sie rasch wieder aufgebaut,
hatten aber bei weitem nicht mehr das malerische Flair von einst. Um 1900 war
der Boom, der mit der Einweihung des Niederwalddenkmals 1883 in Rüdesheim seinen
Höhepunkt erreicht hatte, wieder abgeflaut. Und durch den Ausbruch des 1.
Weltkrieges kam in Rüdesheim der Fremdenverkehr schier ganz zum Erliegen.
1921 verkaufte die Familie Müller den "Drosselhof" an Gustav Düllberg, einen
Töpfermeister aus dem Westerwald, der für die Drosselgasse zu einer
Schlüsselfigur werden sollte. Noch behinderte die Inflation jeden
wirtschaftlichen Fortschritt, doch Düllberg grub das alte Hausmann'sche
Drosselhof-Lied aus, ließ es in schwungvollem Arrangement auf Schallplatten
pressen und verschickte es an alle Rundfunkanstalten. "Zu Rüdesheim in der
Drosselgass" tönte es nun durch den Äther, bis die Gäste schließlich eigens an
den Rhein reisten, um endlich einmal die Drosselgasse zu erleben.
Die Zeiten änderten sich nach der Machtergreifung Hitlers 1933 auch in der
Drosselgasse. Der Landrat ordnete an, dass in den Stimmungslokalen "nur eine dem
deutschen Empfinden entsprechende Musik aufgeführt wird". Das Getöse in der
Drosselgasse wurde noch ärger, als die NS-Organisation "Kraft durch Freude"
während der 30er Jahre die Stadt mit Gästen aus zahllosen Sonderzügen
überschwemmte.
Der zweite Weltkrieg führte zu einer Zwangspause. Am Katharinentag am 25.
November 1944 legte eine Handvoll Stabbrandbomben Teile der Drosselgasse und das
Rüdesheimer Schloss in Schutt und Asche. Lediglich der Drosselhof blieb
verschont. Die Ruine des Rüdesheimer Schlosses wurde bereits 1949 von Gustav
Niedner gemeinsam mit dem Weingutsbesitzer Georg Breuer und dem Hotelier Walter
Fießler in den stehen gebliebenen Umfassungsmauern neu errichtet.
In den darauf folgenden Jahren wurden auch die letzten Anwesen in der
Drosselgasse von der Gastronomie vereinnahmt. Kleine intime Lokale, wie "Der
Engel", "Die ewige Lampe", "Bei Hannelore", "Der Amselwirt" und das
"Kuckucksnest" wurden eröffnet. Zum großen Entsetzen der Winzer wurde hier jetzt
auch Bier ausgeschenkt. Doch diese Entrüstung hat sich inzwischen gelegt. Der
Tatkraft der Drosselgassen-Wirte beim raschen Wiederaufbau ist es zu verdanken,
dass Rüdesheim nach dem Kriege eines der meist besuchten Touristen-Ziele am
Rhein blieb.
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Weitere Informationen:
Touristinfo
Geisenheimer Straße 22
65385 Rüdesheim am Rhein
Telefon: +49 (0) 67 22 - 1 94 33
Fax: +49 (0) 67 22 - 34 85
touristinfo@t-online.de
www.drosselgasse.de
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