Die
meistbefahrene künstliche Wasserstraße der Welt führt von der
Elbe bei Brunsbüttel bis zur Kieler Förde bei Holtenau – oder
umgekehrt. Der Nord-Ostsee-Kanal verbindet zwei Meere und gilt
damit für Ostseeanrainer wie Skandinavien und die Baltischen
Staaten als Tor zum Weltverkehr.
Verschiedenste Kanalbauprojekte in China, Ägypten,
Griechenland etc. dokumentieren, dass schon im Altertum
Landengen den Menschen dazu reizten, einen Verkehrsweg für den
Quertransport von Wasser zu Wasser zu schaffen. Daher ist es
nicht verwunderlich, dass sich auch die durch die Cimbrische
Halbinsel gebildete Landenge schon seit alters her als Querweg
für den Gütertransport zwischen Nord- und Ostsee anbot.
Die Cimbrische Halbinsel erstreckt sich von der Elbmündung im
Süden über eine Länge von ca. 450 km bis Kap Skagen im Norden.
Im dänischen Teil ist sie durchschnittlich 140 km, in
Schleswig-Holstein nur 60 bis 80 km breit. Erheblich verringert
wird die Distanz von Nord- zu Ostsee stellenweise durch die an
der Ostseite weit ins Land einschneidenden Förden. Die Schlei
beispielsweise verkürzt den Landweg von Schleswig zur Nordsee
auf ca. 40 km.
Bis zur Verwirklichung der ersten Kanalideen blieb den
Seefahrern im Ost-West-Verkehr nichts anderes übrig als den weg-
und zeitaufwendigen und zudem extrem riskanten Kurs um Skagen zu
wählen. Die Jammerbucht im äußersten Nordwesten Dänemarks trägt
nicht umsonst ihren Namen. Noch Mitte bis Ende des 19.
Jahrhunderts waren im Skagerrak, Kattegatt und in der
Jammerbucht viele Schiffsverluste zu beklagen.
Erste ”Abkürzungsgedanken”, d.h. die Idee des Wasserwegs quer
über die Landenge, hegten nach Erkenntnissen neuerer Forschungen
schon die Wikinger seit Ausgang des 7. Jahrhunderts.
Ausschlaggebend für den ersten bedeutenden Verbindungsweg
zwischen den beiden Küsten Schleswig-Holsteins war zum einen die
Blütezeit der von den Wikingern an der Schleswiger Landenge
gegründeten Handelsstadt Haithabu, ein Fernhandelsplatz, über
den ein lebhafter Güteraustausch zwischen West- und Südeuropa im
Nord- und Ostseeraum abgewickelt wurde. Zum anderen
erleichterten geographische Gunstfaktoren eine Querung gerade in
dieser Region, da hier die Schleiförde den Weg von Küste zu
Küste auf ca. 40 km verkürzt.
Zwischen der Schlei und dem schiffbaren Abschnitt der Treene
galt es, eine Distanz von ca. 16 km Landweg zu überwinden.
Früher wurde angenommen, dass die Wikingerschiffe mit Hilfe von
Rollen über diese Strecke von Haithabu bis Hollingstedt
transportiert wurden. Neuere Forschungen lassen eher auf einen
Zwischentransport auf Wagen schließen. Im weiteren Verlauf
folgten die Schiffe zunächst dem Treene-, dann dem Eiderlauf bis
zur Mündung in die Nordsee westlich von Tönning. Nach der
Zerstörung Haithabus im Jahr 1066 verlor dieser erste
Verbindungsweg rasch an Bedeutung.
In der Folgezeit wurden mit Verlagerung der
Handelsschwerpunkte nach Lübeck neue Pläne für künstliche
Wasserstraßen angedacht. Ende des 14. Jahrhunderts wurde z. B.
der Stecknitzkanal im Verlauf Elbe-Delvenau-Trave gebaut, um den
Transport von Gütern von Lübeck nach Hamburg per Schiff zu
ermöglichen. 1525 folgte der Alster-Beste-Kanal als weitere
Verbindung zwischen diesen bedeutenden Hansestädten. Andere
Kanalprojekte von politischen Machthabern wie Dänenkönig
Christian III. und seinen Thronfolgern, Kaiser Maximilian II.,
Oliver Cromwell oder Admiral Wallenstein wurden im Laufe der
Jahrhunderte verworfen, ehe der erste Spatenstich getan war.
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Der entscheidende Anstoß für eine Ost-West-Querung von Küste
zu Küste kam im 18. Jahrhundert vom amtierenden Dänenkönig
Christian VII.: nach vielen anderen Plänen wurde 1777 bis 1784
der Schleswig-Holsteinische Kanal oder Eiderkanal, wie ihn die
Dänen nannten, verwirklicht. Er verlief von Holtenau bei Kiel im
Tal der Levensau bis zum Flemhuder See, dem künstlich
begradigten und erweiterten Flussbett der Eider folgend bis
Rendsburg, wo er in die freifließende Untereider mündete und
damit über die Eidermündung bei Tönning Zugang zur Nordsee
erhielt.
Um den Eiderkanal, der in der Holsteinischen Schweiz einen
Moränenrücken mit einer Scheitelhöhe von ca. sieben Metern
überwinden musste, mit einer Wassertiefe von drei Metern
schiffbar zu machen, waren insgesamt sechs Schleusenanlagen
gebaut worden. Der ”Anstieg” des sogenannten Treppenkanals
erfolgte über die Schleusen Holtenau, Knoop und Rathmannsdorf,
der ”Abstieg” über Klein-Königsförde, Kluvensieck und Rendsburg.
Schon ein halbes Jahrhundert später wurde der
Schleswig-Holsteinische Kanal den Ansprüchen der sich rasant
entwickelnden Schifffahrt, besonders der zunehmend eingesetzten
Dampfschiffe und der Kriegsflotte, nicht mehr gerecht. Die
Durchfahrt dauerte mit den sechs Schleusenstufen ca. drei bis
vier Tage und war damit nach wie vor sehr zeitaufwendig. Mit
Gründung des Deutschen Reiches 1871 expandierte die Schifffahrt,
Handel und Verkehr derart, dass neue Kanalprojekte in Angriff
genommen werden mussten.
Nicht zuletzt aus
militärisch-strategischen Überlegungen wurde im Preußen des 19.
Jahrhunderts ein neues Kanalprojekt in Angriff genommen.
Reichskanzler Otto von Bismarck konnte Kaiser Wilhelm I. für das
Projekt begeistern, schließlich fügte es sich in die
Expansionspläne der deutschen Flotte und die geplante
Verlagerung des Haupthafens der Reichsmarine von der Nord- in
die Ostsee.
Die Absicht der von Bismarck
geführten preußischen Regierung, die junge preußische Provinz
Schleswig-Holstein militärisch zu stärken und strategische
Stützpunkte in den Norden zu verlegen, trieb die Kanalpläne
voran. Mit der Verlegung des Haupthafens der Reichsmarine im
Ostseeraum in die Kieler Förde fiel sicherlich eine
richtungsweisende Vorentscheidung. Im Jahr 1885 erwirkte
Bismarck entgegen der Kritik des Generalstabchefs Helmut von
Moltke, der in dem Pamphlet "Rede gegen den Kanalbau" die
militärisch-strategische Bedeutung des Kanals anzweifelte, die
Unterzeichnung des "Gesetzes betr. die Herstellung des Kanals"
durch Kaiser Wilhelm I. Die Kaiserliche Kanal-Kommission konnte
daraufhin mit der Projektdurchführung beginnen.
Am 03. Juni 1887 erfolgte in
Kiel-Holtenau die Grundsteinlegung durch Kaiser Wilhelm I. In
den folgenden acht Jahren waren bis zu 8.900 Arbeiter mit dem
Aushub einer ca. 100 km langen, 67 Meter breiten und neun Meter
tiefen Rinne beschäftigt. Insgesamt wurden dabei ca. 80 Mio.
Kubikmeter Erdreich bewegt.
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Obwohl man mit Aushub der Rinne
auf mittlerer Höhe des Meeresspiegels einen reinen
Durchstichkanal ohne "Treppen" schaffte, musste dieser sowohl
zur Nordsee- als auch zur Ostseeseite hin durch Schleusenanlagen
in Brunsbüttel und Kiel-Holtenau gegen die erheblichen
Wasserstandsschwankungen geschützt werden. Nach Fertigstellung
dieser zwei Schleusen konnte am 21. Juni 1895 die feierliche
Schlusssteinlegung unter Anwesenheit von Kaiser Wilhelm II. und
einer internationalen Flotte zelebriert werden. Der
Kaiser-Wilhelm-Kanal, der erst 1948 in Nord-Ostsee-Kanal
umbenannt wird (im internationalen Sprachgebrauch Kiel-Canal),
war damit eröffnet. Die eingeplante Investitionssumme von 156
Mio. Goldmark wurde in dieser achtjährigen Bauphase und durch
Folgekosten wie neue Brunnensysteme zum Ausgleich des
abgesackten Grundwasserspiegels sowie ersten Verkehrsanbindungen
von Hoch- und Drehbrücken nicht überschritten.
Nach einigen Erweiterungsphasen
ist der Nord-Ostsee-Kanal heute der meistfrequentierte Seekanal
der Welt. Er gilt als Hauptverkehrsader Nordeuropas, die als Tor
zur Ostsee Skandinavien und die Baltischen Staaten an den
Weltverkehr anschließt. Tag und Nacht passieren ihn über das
Jahr verteilt über 37.000 Schiffe.
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Interessant ist ein Vergleich des
Nord-Ostsee-Kanals mit zwei der wichtigsten Welthandelsstraßen,
dem Panama-Kanal als Verbindung von Karibischem Meer und Pazifik
sowie dem Suez-Kanal zwischen Mittelmeer und Rotem Meer: Was die Zahl der Schiffspassagen angeht,
stellt der Nord-Ostsee-Kanal alle anderen Kanäle der Welt in den
Schatten, was nicht zuletzt an der einzigartigen und komplexen
Verkehrslenkung liegt. Während der Suez- und Panamakanal quasi
Einbahnstraßen sind in denen Konvois abwechselnd immer nur
in eine Richtung geführt werden, was zur Folge hat, dass die
Schiffe mitunter mehrere Tage warten müssen bevor sie den Kanal
passieren können, wird der
Nord-Ostsee-Kanal rund um die Uhr in
beide Richtungen befahren. Jederzeit sind im Kanal etwa 50
Schiffe unterwegs. Dass es dabei nicht zu Kollisionen kommt,
dafür sorgt die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung mit einem
satellitengestützten Verkehrssicherungssystem.
Generell besteht auf dem Kanal – außer für
Sport- und sonstige Kleinfahrzeuge – Lotsenpflicht. Die Lotsen
kommen für die Kanaldurchfahrt an Bord und stehen dem
Schiffsführer mit ihrem Rat zur Seite. Ab einer bestimmten
Schiffsgröße übernimmt sogar ein so genannter Kanalsteurer das
Ruder.
Der Nord-Ostsee-Kanal kann man im Übrigen
auch zu Fuß oder per Rad erkunden. Von seinen begrünten Ufern
aus lassen sich die gemächlich vorbeigleitenden Ozeanriesen und
Traumschiffe bestaunen und von Aussichtsplattformen erhält man
Einblick in den emsigen Betrieb an den Schleusen. Die Radwege am
Kanal sind ein Teil der rund 250 km langen Deutschen Fährstraße.
Auf dieser Ferienstraße erlebt man zwischen Bremervörde und Kiel
die ganze Spannbreite von Möglichkeiten, die der Mensch ersonnen
hat, um Gewässer zu über- oder unterqueren. Ein besonderes
Highlight ist dabei die Fähre bei Rendsburg: Hier überquert man
den Nord-Ostsee-Kanal in luftiger Höhe – unter der
Eisenbahnhochbrücke schwebend.
Es wurde viel Sorgfalt aufgewandt, um die
durch die Bautätigkeit beeinträchtigten Ufer zu renaturisieren
und mit standortgerechter Vegetation zu versehen. Die
Schilfzonen, in denen sich Wasservögel tummeln, ebenso wie die
üppig bewachsenen Böschungen zeigen den Erfolg der Maßnahme.
Hier haben vom Aussterben bedrohte Pflanzen und Tiere eine neue
Heimat gefunden. Ein reicher Fischbesatz lockt täglich hunderte
von Anglern an, die das Arome der Kanalfische schätzt. Ständige
Wasserproben belegen, dass das Wasser fast Trinkwasserqualität
hat. Dies weiß auch der Hering zu schätzen, wenn er in jedem
Frühjahr in den Kanal zum Laichen zieht. Der Schupferfolg ist
deutlich höher als in der Ostsee. Knapp 100 km zieht sich der
“Graben”, wie er liebevoll von seinen Mitarbeitern und Anliegern
genannt wird, durch das Land, ein “Gutes Stück Schleswig-Holstein”.
Weitere Informationen:
Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord
Hindenburgufer 247
D-24106 Kiel
webmaster@kiel-canal.org
www.nord-ostsee-kanal.de
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