Eine grandiose Landschaft. Eine überwältigende Bergkulisse. Eine liebliche
Wiesenwelt. Eine Alpenfestung für den Diktator. Widersprüchlicher könnte der
Besuch auf dem Obersalzberg bei Berchtesgaden nicht sein. Mitten im bayerischen
Touristenwirbel gähnt ein Abgrund der Geschichte. Wer aber versucht, dem bösen
Geist der Diktatur nachzuspüren, der landet schnell im Gestrüpp zwischen
Blasmusik und Leberkäs, Souvenirs und Lederhosen, Geschichtswissenschaft und
Geschichtsvergessenheit. Gedenken und Andenken liegen hier nah beieinander. Fast
so nah wie Natur und Diktatur.
Die Gegend um den Obersalzberg hat einiges zu bieten: Nicht nur, dass der
1.834 Meter hohe Kehlstein der einzige Berg Bayerns ist, den man im Fahrstuhl
erobern kann; alternativ erreicht man ihn über die wohl schönste Alpenstraße
Deutschlands, die atemberaubende Blicke auf den Watzmann bietet. Auch der Luft
hier wird eine besondere Heilkraft zugeschrieben.
In Rufweite des "Interconti" stand einst Hitlers Feriendomizil "Berghof" -
und steht bis heute für den "schönen Schein des Dritten Reichs" - die
postkartenkompatible Ansichtsseite von Weltkrieg, Holocaust und Diktatur. Nach der Machtübernahme der NSDAP 1933
ließ Hitler den Obersalzberg im Berchtesgadener Land zu einem zweiten
Regierungssitz neben Berlin ausbauen. Der Berghof spielte in vielerlei Hinsicht
eine bedeutende Rolle bei der Inszenierung des „Führerkultes“. Hier zeigte sich
Hitler als „Privatmann“, als hunde- und kinderliebe Vaterfigur, als
naturverbundener Übervater der Volksgemeinschaft. Wie Wallfahrer pilgerten seine
Anhänger zum „Berg des Führers“.
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Dort zeigte sich Hitler, im
Gegensatz zu seinen „öffentlichen“ Auftritten, häufig nicht in Uniform, gab sich
auch bei Besuchen von Militärs und Staatsgästen betont bürgerlich. Die
Propagandamaschinerie der Nazis bediente hinlänglich das Bild des Führers, der,
umgeben vom beeindruckenden Panorama der Alpen, von seinem Berg herab die
Geschicke „seines“ Volkes bestimmte. Doch am Obersalzberg fielen auch
wesentliche Entscheidungen für Krieg, Terror und Völkermord. Gerade durch diesen
Gegensatz zwischen inszenierter Idylle und den Verbrechen des
Nationalsozialismus lässt sich die Widersprüchlichkeit der NS-Propaganda und der
Gegensatz zwischen Inszenierung und Wirklichkeit des Regimes verdeutlichen.
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Noch 1932 war der ehemals bitterarme Obersalzberg ein normaler, aufstrebender
Tourismusort nahe Berchtesgaden. Schnell hatten die Bewohner sich daran gewöhnt,
dass einer der ihren - seit 1928 Mieter von "Haus Wachenfeld" - ein aus
Österreich "zuag'roaster" Polit-Parvenü namens Adolf Hitler war. Schließlich
hatte der hier schon ab 1923 logiert und später auch den zweiten Teil von "Mein
Kampf" verfasst.
Als sich Haus Wachenfeld um 1936 in eine pompöse Sommerresidenz namens Berghof
verwandelt hatte, bekam das kaum mehr jemand aus der Nähe mit: Die rund 60, oft
seit Jahrhunderten ansässigen Bergdörfler-Familien waren längst vertrieben, der
Obersalzberg zum "Führersperrgebiet" geworden - eine Art "Beverly Hills" der
Nazi-Prominenz. Die neuen Bewohner: Hermann Göring, Albert Speer, Martin
Bormann. Die Alteingesessenen konnten ihre verlorene Heimat jetzt im Kino
besuchen, wo sie wie Millionen andere Deutsche in den "Wochenschauen"
Inszenierungen des Führers mit Staatsgästen wie Benito Mussolini und Neville
Chamberlain zu sehen bekamen.
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Die Gefahr der Trivialisierung dieser Geschichte
ist groß: „Hier vergnügte sich Hitler - sollen es ihm die Reichen nachmachen?”
wurde in der „New York Times” in einem Bericht über das „Resort Berchtesgaden”
gefragt. Für Hitler und seine Satrapen war der Obersalzberg aber weit mehr als
ein privates Refugium. Es war ein zentraler Ort der Inszenierung ihrer Macht,
der Verschleierung und Verbrämung ihrer verbrecherischen Politik.
Auch noch als der Wahnsinn des von den
Nationalsozialisten entfachten Krieges in Europa wütete, wurde der Obersalzberg
in der Propaganda als schöne heile Welt dargeboten, weit weg von Tod und
Zerstörung. Es war dieser Versuch einer Mythologisierung, auf den am 25. April
1945 die Bomber der Alliierten zielten, die Kurs auf den Obersalzberg nahmen;
militärisch war die Zerstörung der Bauten des Regimes ohne Bedeutung. Wenige
Tage später besetzten amerikanische Truppen Berchtesgaden.
In den ersten Nachkriegsjahren war die
Sorge groß, dass der Obersalzberg zu einem Sammlungsort der Unverbesserlichen
und Unbelehrbaren werden könnte. Möglichst wenig sollte an die braunen
Machthaber erinnern; im April 1952 wurden die Ruinen des Berghofs und anderer
Bauten gesprengt und die freien Flächen aufgeforstet.
Als steinernes Zeugnis der Okkupation
des Obersalzbergs blieb das Haus auf dem Gipfel des Kehlsteins erhalten, das die
Partei Hitler zu seinem fünfzigsten Geburtstag geschenkt hatte. Mit der kühnen
Straße, die es erschließt, wurde es in den fünfziger Jahren zwar ein
touristischer Anziehungspunkt, doch kein Ort nostalgischer Verklärung.
Neben der Aufforstung wurde noch auf
andere Weise versucht, die braunen Traditionslinien auf dem Obersalzberg
auszulöschen. Die amerikanischen Truppen nutzten den Obersalzberg als
Erholungsgelände, legten Skilifte und einen Golfplatz an; der Platterhof, vor
dem Krieg ein Ferienheim für „verdiente Volksgenossen”, wurde zum „Hotel General
Walker”.
Schon während dieser Zeit gab es
skeptische Stimmen: Der Obersalzberg müsse ein Ort der Mahnung und des
Gedenkens, nicht der Erholung und Zerstreuung sein. Sie wurden noch
vernehmlicher, als sich die Amerikaner 1996 vom Obersalzberg zurückzogen und das
Gelände an den Freistaat Bayern übergaben. Die Landesregierung entschloss sich
zu einer zweigeteilten Strategie. Es wurde auf dem Obersalzberg ein
Dokumentationszentrum errichtet, in dem Orts- und Zeitgeschichte verknüpft
werden.
Das Münchener
Institut für Zeitgeschichte hat dafür gesorgt, dass abseits der betörenden
Landschaft erinnert wird an die eigentliche Funktion des Hitlerschen
Zweit-Regierungssitzes: "Alle meine großen Pläne sind hier entstanden", äußerte
der Hunde liebende Vegetarier und meinte damit beispielsweise den
Russlandfeldzug und die Judenvernichtung. Dass es dieses Dokumentationszentrum
überhaupt gibt, ist das Ergebnis eines längeren Streites. Erzählt wird der
Verlauf der NS-Diktatur in allen ihren Verästelungen. Da wäre weniger mehr
gewesen. Und schließlich ist der Obersalzberg auch Dokument von Enteignung und
Vertreibung. Die Menschen, die dort lebten und arbeiteten, bevor Hitler mit
seiner Entourage nach Beseitigung der Altbauten den Adlerhorst der NS-Elite
baute, haben nie die Möglichkeit gehabt, ihren Grund und Boden zurück zu
bekommen.
Zugleich wollte die Landesregierung den
Obersalzberg aber gleichsam rehabilitieren - als einen Ort magischer
Naturerlebnisse, jenseits aller ideologischen Überwölbungen. Sie verpachtete ein
großzügiges Grundstück auf dem Obersalzberg an einen Hotelbetreiber, der das „Resort
Berchtesgaden” errichtete.
Schließlich sei der Obersalzberg schon
vor der Okkupation durch die Nationalsozialisten ein Ort der Erholung in
grandioser Landschaft gewesen, lautet die regierungsamtliche Begründung dieser
Entscheidung. Es wird sogar die kühne Formel gebraucht, dass
Dokumentationszentrum und Hotel zusammengehörten. Dieses Wagnis eines
zeithistorisch-touristischen Amalgams bleibt auch nicht ohne überraschende
Folgen.
Denn die Gäste des „Resort
Berchtesgaden” erwartet nicht nur eine bauliche Ästhetik, die mit kühler
Modernität jede Reminiszenz an frühere Bauten auf dem Obersalzberg vermeiden
will. Ihnen wird auch eine Hotelpädagogik besonderer Art zuteil: Auf ihren
Zimmern finden sie neben den gängigen Accessoires der Luxushotellerie - vom
Videorecorder bis zum Internetzugang - auch eine umfangreiche Dokumentation zum
Nationalsozialismus.
Auf Hitlers ehemaligem Berghof stehen heute Buchen. Nur
vereinzelt ragen noch kleine Betonteile und Eisenarmierungen aus dem Waldboden,
Reste einer „Alpenfestung“, in der der II. Weltkrieg ausgebrütet wurde.
Historikern zufolge änderte sogar General Eisenhower wegen besagter Festung
seine Aufmarschpläne gegen Berlin. Der Oberkommandierende der Alliierten wollte
deutschen Truppen den Rückzug in die „Alpenfestung“ erschweren. Dadurch konnte
wiederum die Rote Armee bis weit nach Mitteldeutschland vorstoßen.
Dessen ungeachtet werden in den Andenkenläden
rund um den Obersalzberg Souvenirs aus der Zeit des „Dritten Reiches“ massenhaft
umgesetzt. Ein Haar des „Gröfaz“ (Größter Feldherr aller Zeiten)
kostet zum Beispiel 1.000 Euro. Der Leibfriseur hat es angeblich mit
feuchter Schuhsohle beiseite geschafft. Wem das zu billig ist, kann auch einen
Sessel aus dem Hause „Carinhall“ erwerben. Die Ladenbesitzerin pflegt gute
Kontakte zu ehemaligen dienstbaren Geistern, die sich nach 1945 am schönen
Inventar ihrer Herrschaften schadlos hielten. Der bayerischen Lebensart
entsprechend sagt die Händlerin erfrischend: „Da ist doch nichts Schlimmes
daran. Das ist halt Geschichte, wie bei den Römern auch.“
Weitere Informationen
Dokumentation Obersalzberg
Salzbergstrasse 41
D-83471 Berchtesgaden
Tel.: ++49(0)8652/947960
Fax: ++49(0)8652/947969
www.obersalzberg.de
info@obersalzberg.de
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