Es gibt eine Reihe von deutschen Strassen, die über ihre
jeweiligen Städte hinaus berühmt sind - die Maximilianstrasse,
der Jungfernstieg oder die Königsallee. Aber nur eine einzige
Strasse hat den Rang der internationalen Boulevards, der
Champs-Élysées von Paris und der Fifth Avenue von New York - das
ist ohne jeden Zweifel die Avenue, die vom Schloss zum
Brandenburger Tor führte, und die als "Unter den Linden"
weltberühmt geworden ist.
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Zu Beginn des 15.
Jahrhunderts kamen mit Friedrich I., dem Burggrafen von
Nürnberg, die Hohenzollern in der Mark Brandenburg an die Macht.
Damals existierten in Berlin zwei Städte: Cölln im Westen und
Berlin im Osten. Sie waren an der schmalsten Stelle der
Spreeniederung zwischen zwei Spreearmen gegründet worden. Die
zwei Städte wurden erst unter einem Nachfolgers des Burggrafen,
der ebenfalls Friedrichs I. hieß und sich 1701 selbst zum König
der Preußen krönte, unter einem Magistrat und dem Namen Berlin
vereinigt.
Im 15. Jahrhundert nutzte Kurfürst Friedrich II. die
Streitigkeiten der zwei Städte geschickt aus, um die
Vorherrschaft über sie zu erringen. Er erreichte das Recht, sich
auf Cöllner Gebiet zwischen den Flussarmen ein Schloss zu
erbauen, zwei Jahrhunderte vor der Lindenallee. Kurfürst
Friedrich II. legte 1442 eigenhändig den Grundstein. 1451 wurde
das Schloss als feste Residenz bezogen. Dazwischen lagen Jahre
des vergeblichen Kampfes, in denen die Bürger gegen den Entzug
von Rechten wie der Zollerhebung protestierten und die
Bauarbeiten am Schloss sabotierten. Es half nichts, die Berliner
verloren nach über zwei Jahrhunderten ihre Eigenständigkeit.
Die Geschichte des Berliner Boulevards Unter den Linden, von den
Berlinern kurz Die Linden genannt, beginnt mit Friedrich Wilhelm
(1620-1688). Der Grosse Kurfürst legte nicht nur die Grundlagen
für den späteren Aufstieg Preußens zur Großmacht, sondern er war
auch der Schöpfer des vom Stadtschloss zum Tiergarten führenden
Reitwegs, der nach ihm zum Boulevard Unter den Linden ausgebaut
wurde.
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Bereits unter dem
Grossen Kurfürsten begann die Bebauung Unter den Linden, geprägt
aber wurde die Strasse von den ersten vier preußischen
Königen. Das erste Gebäude errichtete sich Johan Gregor Memhardt,
der Städte- und Festungsmeister des Grossen Kurfürsten, für sich
selbst. Es wurde später vom Staat erworben und zum Sitz des
Berliner Militärbefehlshabers erkoren, weshalb es zirka seit
1800 in den Stadtplänen als Kommandantenhaus bzw. Kommandantur
erscheint.
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts erreichte Preußen seine grösste
Ausdehnung nach Osten. Damals, unter Friedrich Wilhelm I., fand
die bereits rund eineinhalb Kilometer lange Strasse Unter den
Linden ihren Abschluss mit dem Quarrée genannten viereckigen
Platz sowie dem Brandenburger Tor - es hieß schon so, war aber
mit dem heutigen nicht identisch.
Der Grosse Kurfürst hatte die Bäume für die Strasse Unter den
Linden gewählt und die Richtung vorgegeben; sein Sohn, der erste
Preußenkönig, baute am Ausgangspunkt sein imposantes
Barockschloss; sein Sohn, der Soldatenkönig, baute mit dem
Quarrée den Abschluss des königlichen Boulevards. Doch die
Füllung des vorgegebenen Rahmes blieb den Nachfahren
vorbehalten, denn beim Tod von Friedrich Wilhelm I. 1740 säumten
erst schmucklose, billige Häuser, wie es der Sparsamkeit des
Soldatenkönigs entsprach, die Strasse. Einzig am Anfang der
Linden, hinter dem Kupfergraben, stand bereits das barocke
Zeughaus, das Jahrhunderte später, ab 1999, um genau zu sein,
durch den Architekten I.M. Pei einen aus Stahlträgern und Glas
bestehenden Anbau für Wechselausstellungen erhielt.
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Die Strasse Unter
den Linden ging vom mächtigen Barockschloss auf der Spreeinsel
aus. Erbaut wurde es ab 1698 von Andreas Schlüter und seinem
Konkurrenten und Amtsnachfolger Eosander von Göthe. Das Schloss
war das Zentrum des 1701 entstehenden Königreiches Preußen. Mit
seinen rund 700 Zimmern und Sälen war es nicht nur der Wohn- und
Regierungsort des Herrschers, sondern auch Sitz zentraler
Behörden, Hotel für vornehme Gäste, administrativer und
gesellschaftlicher Mittelpunkt. Hier wurden die Hochzeiten und
Taufen des Herrscherhauses festlich begangen, und wichtige
politische Zusammenkünfte fanden hier statt. Die revolutionären
Ereignisse von 1848 nahmen von hier aus ihren Ausgang.
Im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt, wurde die Ruine des
Schlosses 1950 auf Weisung von Walter Ulbricht gesprengt. Einzig
das Eosander-Portal blieb erhalten und wurde später ins
Staatsratsgebäude der DDR eingebaut. Im Sommer 2002 stimmte der
Bundestag dem Wiederaufbau der Schlüterschen Schlossfassade zu,
um so das architektonische Ensemble von Dom, Altem Museum,
Zeughaus und Lustgarten wieder herzustellen.
Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff war seit 1732 mit dem
Kronprinzen Friedrich befreundet, der ihn 1740 zum Leiter seiner
Schlösser und Gärten ernannte. 1742 begann Knobelsdorff mit dem
Bau eines seiner Meisterwerke, der Berliner Oper. Mit der Oper
wurde die Baulücke zwischen dem Kronprinzenpalais und dem
Zeughaus geschlossen. Die Opern von Mozart, Beethoven und Gluck
wurden allerdings nicht im Opernhaus Unter den Linden gespielt,
sondern im Theater am Gendarmenmarkt, das unter Friedrich
Wilhelm II. zum Königlichen Nationaltheater avanciert war.
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Die Strasse Unter
den Linden war und ist ein Ort der Repräsentation, auf dem
Paraden abgehalten wurden, die Menschen flanier(t)en, an dem das
Zeughaus die militärische und das Opernhaus die kulturelle
Stärke Preußens, des Kaiserreiches bzw. der Republik bezeug(t)en.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren Geist und Macht noch immer
Unter den Linden Präsent. Am einen Ende, im Schloss, wohnte
Kaiser Wilhelm II., am anderen, am Pariser Platz, der vom Haupt
der Hohenzollern nicht sonderlich geschätzte Maler Max
Liebermann.
Unter den Linden hatte der aus Mainz stammende gelernte
Kunsttischler Lorenz Adlon, der mit zwei französischen
Restaurants in Berlin zu Geld gekommen war, sein Luxushotel an
bester Lage errichtet, das der Kaiser höchstpersönlich als
erster 1907 besichtigte und zur Unterbringung von Staatsgästen
nutzte. Das Adlon richtete bis zur Abdankung des Kaiser 1918 die
Bankette aus. Der Hotelgründer kam 1921 bei einem Autounfall ums
Leben. Sein Sohn Louis führte das Haus in altem Glanz weiter. Im
und nach dem Zweiten Krieg weitgehend zerstört, wurde das Adlon
1997 neu errichtet und dominiert seither wieder den Pariser
Platz.
Der westliche Teil der Linden galt als Vergnügungsort. Max
Reinhardt gehörte 1901 zu den Mitbegründern des Kabaretts
"Schall und Rauch", das im darauffolgenden Jahr in "Kleines
Theater" umbenannt wurde, das Reinhardt von 1903 bis 1905 selbst
leitete. Dort erregte er mit der deutschen Erstaufführung von
Maxim Gorkis Nachtasyl Aufsehen. Im westlichen Teil der Linden
boten sich Freudenmädchen den Müßiggängern und Fremden an, unter
denen sie viele zahlungswillige Kunden fanden. Wiener und
Schweizer Konditoren brachten die Kaffeehauskultur nach Berlin.
Unter den Linden luden seit dem Biedermeier das Kranzler sowie
seit den Gründerjahren Mathias Bauer in das pompöse Café Bauer
zum Verweilen und Zeitungslesen bei Kaffee und Kuchen ein.
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Im Zweiten
Weltkrieg wurde die Strasse Unter den Linden um die dreihundert
Mal bombardiert. Die wenigen im Februar 1945 noch intakten
Gebäude zwischen dem Pariser Platz und dem Lustgarten wurden in
den letzten Wochen des Kriegs in Schutt und Asche gelegt. Die
jungen Linden, die erst nach den Olympischen Spielen von 1936
wieder angepflanzt worden waren, waren verkohlt. Das
Brandenburger Tor stand allerdings noch immer, wenn auch
beschädigt und mit zerschossener Quadriga.
In Erinnerung an die Verbrennung von rund 20,000 Büchern durch
die Nazis auf dem Opernplatz kreierte der Künstler Micha Ullmann
in der Mitte unter dem Platz einen fünf Meter tiefen
Bibliotheksraum mit leeren Regalen, den man über eine begehbare
Glasplatte einsehen kann.
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